Kunsttherapie
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Kunsttherapie im Kontext von Palliative Care
Ein wichtiger Bestandteil in der Begleitung von Palliativpatienten und/oder ihren Angehörigen ist die Kunsttherapie. Die Bedeutung dieses wichtigen Supportivbereiches soll Ihnen hier nähergebracht werden:
- Kunsttherapie im Palliativbereich (M. Zimmermann)
- Unterschiedliche Eindrücke kunst- und leibtherapeutischer Begleitung auf der Palliativstation (M. Zimmermann)
- Sterben ist das pralle Leben (U.Baer, C. Hecker)
Kunsttherapie im Palliativbereich
Gemeinsam mit dem Patienten begebe ich mich auf die Suche nach dem, was gesehen, gespürt, gehört und gesagt werden will. Hierbei orientiere ich mich am ganz persönlichen Erleben der Krankheitsrealität und der Perspektiven und an den persönlichen Vorlieben sowie der Ressourcen.
Es geht darum, unterstützende Wege und Zugänge zu den eigenen Gefühlen zu finden und dabei eigene innere Schätze neu zu beleben. Da wo Worte nicht (mehr) reichen, bieten Farben, Bilder, Atemgesten und verschiedene Angebote des Erlebens die Möglichkeit sich auszudrücken, Inneres im außen sichtbar zu machen oder sich zu entlasten. Wir können uns auf die Spur zu kommen; in diesem Sinne können wir entstandene Bilder oder andere Gestaltungen auch als Erlebensspuren verstehen.
Ziele kunsttherapeutischer und leibtherapeutischer Begleitung im Palliativbereich:
- Unterstützung bei der Verarbeitung und Bewältigung der Krankheit und der krankheitsbedingten Begleitsymptome
- Lösung emotionaler Blockaden
- Unterstützung im Prozess des Loslassens und Abschiednehmens
- Entlastung und Klärungshilfen in einer besonderen Lebensphase auf schöpferische Art und Weise, welche sich an den (körperlichen, seelischen und kognitiven) Bedürfnissen des Betroffenen und im Augenblick orientiert.
Quelle: Martina Zimmermann, Kunsttherapeutin und Kreative Leibtherapeutin, Fachtherapeutin kreative Psychoonkologie auf der Palliativstation, Sozialstiftung Bamberg, Klinikum am Bruderwald
Unterschiedliche Eindrücke kunst- und leibtherapeutischer Begleitung auf der Palliativstation
Würdigen, was ist
Im Tun und in der Aufmerksamkeit für „das, was ist, ausgehend von diesem Augenblick“, liegt die heilende Wirkung der (Lebens-) Kunst.
Gemeinsam mit dem Patienten begebe ich mich auf die Suche nach dem, was gesehen, gehört, gesagt oder gespürt werden will. Oft geht es darum, was in der aktuellen Situation Halt gibt. Was stützt und nährt, wenn sich Körpererleben, persönliches Umfeld und Lebensperspektive so existentiell verändern, das Halt-Gebende wegbricht? Wer oder was gibt Trost? Wir knüpfen an dem an, was jetzt und früher gut getan hat, passen Bewährtes an und beleben es neu; angefangen hier in unserer therapeutischen Beziehung. Im tastenden Begreifen von ausgewählten Gegenständen wie unterschiedlichen Fundstücken wird es leichter, die eigene Befindlichkeit wahrzunehmen, und neue Entdeckungen sichtbar und für sich greifbar zu machen. Oft ist ein Entspannungsangebot erst mal hilfreich und entlastend und erleichtert ein Ankommen und Loslassen im Augenblick.
Entdeckung von hilfreichen Perspektiven und Haltungen
Mit Hilfe von fließenden Farben oder symbolischen Gegenständen kann Belastendes und Hilfreiches im Außen sichtbar werden. Ein stimmiger Abstand ermöglicht oft neue Blickwinkel und Haltungen in Bezug auf sich und das eigene Leben. Das Einlassen auf die Fülle eines Bildes kann den Blick auf inneren Reichtum öffnen. Die persönliche Lebensspur führt zu Gelebtem und „ungelebten Leben.
Je begrenzter die verbleibende Lebenszeit erscheint, desto wichtiger wird die Lenkung der Aufmerksamkeit auf das Jetzt: „Was erfüllt diesen Augenblick und diesen Tag mit Sinn für mich? “ Hier unterstützen die unterschiedlichen Materialien, welche die Sinne ansprechen und Brücken zu inneren Bildern sind.
Imaginationen – ob gemalt oder innerlich vorgestellt, ob im Rahmen einer Fantasiereise oder spontan entstehend – sind ein wichtiger der Arbeit. Wir Menschen schaffen uns Bilder unserer selbst, unserer Gedanken, unserer Gefühle und unseres Körpers um uns in der Welt zurechtzufinden. In der Kunst- und Gestaltungstherapie nehmen wir diese inneren Bilder ernst. Dabei machen wir uns zunutze, dass unser Gehirn nicht unterscheidet zwischen realen und vorgestellten Bildern.
Wenn das Bedürfnis nach einem gemalten Bild besteht, die eigene nachlassende Körperkraft ein aktives Tun selbst nicht mehr zulässt, bietet sich die Möglichkeit, das (innere) Bild des Patienten in seinem Auftrag umzusetzen. („Bilddiktat“).
„Sichere Orte“ und Lebenslandschaften
Ausgehend von dem aktuellen Bedürfnis nach Halt, Ruhe oder Schutz werden im achtsamen Fließenlassen und Tropfen mit Aquarellfarben vielleicht innere und äußere „sichere Orte“ oder Anteile sichtbar. Diese können dann zum Beispiel mit Tusche – Konturen verdeutlicht und auf hilfreiche Aspekte für die Situationsbewältigung untersucht werden.
Im gestalterischen Prozess lässt sich der Patient von seinen Vorlieben und Gestimmtheiten bei der Wahl des Materials und Werkzeugs leiten. Er entscheidet sich für eine Farbe, lässt sich überraschen von dem, was entsteht und geht damit in einen Austausch. So können Gefühle lebendig werden. Sie können mithilfe des Materials und in der Begleitung ausgedrückt, geordnet und angenommen werden.
Um von dieser Art der Begleitung zu profitieren braucht es keine künstlerischen Vorerfahrungen.
Da, wo Worte nicht mehr (er)reichen
können Bilder, Farben, Gesten und Klänge helfen. Beim absichtslosen Tupfen mit Wasserfarben schieben sich grüne und rote Punkte in den Vordergrund (des Erlebens). Überraschend für die Patientin taucht die Erinnerung an das Stoffmuster eines bestimmten Kleides aus Kindheitstagen auf. Sie summt kaum hörbar die ersten Töne eines Liedes vor sich hin, ihr Brustbereich entspannt sich. Dieses Gefühl wiederum belebt weitere hilfreiche Erinnerungen, eröffnet und verändert die aktuelle innere Aussichtslosigkeit.
In der Begleitung Schwerstkranker ist das Einbeziehen und Weiterentwickeln innerer Vorstellungsbilder oft sehr hilfreich; weil sehr unmittelbar und ohne großen Kraftaufwand zugänglich.
Hilfreiche Geister
Im weiteren Verlauf können Wünsche oder (wieder)entdeckte Kraftquellen durch die Methode des Aktiven Symbolisierens greifbar und zugänglich gemacht werden. Z. B. in Form von schützend mit Wolle umfilzten „Wunschsteinen“ oder selbstgestalteten „Kraftkarten“ und „Abschiedsbildern“ , die nach Bedarf im Zimmer der Patientin ihren Platz finden. Ein aus Stoff gebasteltes „Schutzwesen“ kann in schweren Stunden hilfreich sein. In einer weiteren Begegnung entsteht eine „kleine Begleiterin“, aus Tonerde geformt. Persönliche Ressourcen werden „handhabbar“. Ein anderer Patient findet seine persönliche „Atemgeste“, die in schwierigen Situationen zur Anwendung kommen kann.
Inneres kann im Außen sichtbar und „begreifbarer“ werden
Zu meiner Ausrüstung gehört auch eine Tonschüssel mit Sand und mit unterschiedlichen Gegenständen aus der Natur, welche primäre Erfahrungen des Greifens ermöglichen; „etwas wird (be)greifbarer“ auch im übertragenen Sinne. Wenn es um Wünsche und um die Erfahrung von Halt geht: „Was oder nach wem möchte ich greifen? Was möchte ich loslassen?“ Feiner Sand* , der durch die Finger rinnt, wirkt entspannend und ermöglicht zugleich die Erfahrung des „Loslassens“. ( *Auch Rapskörner oder Linsen)
Manchmal ermutige ich dazu, die Hände, die im gelebten Leben so viel angepackt ,,geschafft und geschaffen haben, eine Muschel oder eine Lieblingsfarbe wählen und greifen zu lassen und den Händen und sich selbst zu erlauben mit dem Pinsel zu träumen, zu tanzen, zu kritzeln …: Entstehen lassen, was Augenblick entstehen will ohne etwas Bestimmtes schaffen zu müssen. So kann Inneres im Außen sichtbar werden. Und wir können später gemeinsam schauen, was das Gewordene braucht: Manchmal einen passenden Abstand oder einen schützenden Rahmen, den wir gemeinsam mit hilfreichen Ideen für schwierige Situationen füllen. Vielleicht möchte mit ein paar Kugelschreiberstrichen etwas in den Vordergrund geholt werden; ein abschließender Name wird gefunden.
Ein Bild ist ein bisschen wie die Seele
Es ist mit Worten nie ganz zu (er)fassen. Im Augenblick erscheint uns ein bestimmter Aspekt im Vordergrund. Ein entstandenes Werk enthält immer mehr, als das, was unser Verstand gerade erkennt. Es bewahrt immer ein Geheimnis, genau wie der Mensch, der mir gerade gegenüber ist.
Lebens-Spuren
Ein farbenreiches leuchtendes Bild kann den Patienten, Angehörige und professionelle Begleiter daran erinnern, das immer mehr da ist, als wir gerade wahrnehmen. Auch Unerwartetes, Schönes, Heiles, Hoffnungsvolles. Das wiederum kann helfen, die schweren Seiten des Leidens anzunehmen.
Und es bietet den Begleitern eine Möglichkeit am Erleben des Patienten teilzuhaben. Auch für Angehörige besteht die Möglichkeit,. dem Angehörigen auf diese Weise begegnen oder das Angebot für sich zu nutzen. Die Bilder, die in der kunsttherapeutischen Begegnung entstehen, können auch nach dem Tod für die Angehörigen ihre ganz eigene Bedeutung entfalten.
Abschieds- und Hoffnungsbilder
Viele Verluste, enttäuschte Hoffnungen und Kummer gibt es zu „verschmerzen“. In Abschiedsbildern, Assoziationen und Symbolen können Verlorenes, Ungelebtes und Wünsche im Außen sichtbar, gewürdigt und, in Worte gefasst und „übersetzt“ werden. Belastende Gefühle können verarbeitet und „gewandelt“ werden und manchmal geht solch ein „erledigtes“ Bild in einem kleinen gemeinsam entfachten Feuerchen auf.
Therapeutische Haltung
In der therapeutischen Begleitung geht es mir darum, zusammen mit dem Patienten einen besonderen Freiraum zwischen der inneren und der äußeren Realität zu schaffen. Einen Raum für das Ungesagte, Ungeklärte, für Gefühle, Wünsche und Sehnsüchte; für „das, was im Augenblick wesentlich ist“. Dazu gehört auch das Akzeptieren von Grenzen, das gemeinsame Aushalten von Hoffnungslosigkeit, das Teilen von lösenden Tränen und befreiendem Lachen. Meine Grundhaltung ist das Bemühen um Offenheit und Gelassenheit, um das zu würdigen, was gerade hörbar, sichtbar, spürbar werden will, – oder eben auch nicht.
November 2011, Martina Zimmermann, Kunst- & Gestaltungstherapeutin,
Kreative Leibtherapeutin, Fachtherapeutin Kreative Psychoonkologie
Alle Bildmaterialen sind mit Genehmigung der Patienten oder der Angehörigen veröffentlicht. Die Genehmigung liegt bei M. Zimmermann.
Für Interessierte zum Weiterlesen:
- Baer, Udo (2008) Das ABC der Gefühle. Weinheim und Basel.
- Halifax, Joan (Deutsche Ausgabe 2011). Im Sterben dem Leben begegnen: Mut und Mitgefühl im Angesicht des Todes.
- Reddemann, Luise. (2007). Überlebenskunst. Stuttgart
- Wellendorf, Elisabeth (1999) Es gibt keinen Weg, es sei denn, Du gehst ihn: Abenteuer des Werdens u. Bedeutung der Kreativität. Stuttgart – Berlin.
- Yalom, Irving D. (2010) Existentielle Psychotherapie. Bergisch Gladbach.
„Sterben ist das pralle Leben“
Kreative Therapie in der Begleitung Schwerstkranker und Sterbender
von Udo Baer, Christiane Hecker
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